Was hat Walter Riemer mit seinem Fortepiano (Hammerflügel) vor?

Riemer Salvatorsaal

Die mit dem (inzwischen realisierten) Projekt einer CD-Aufnahme der "Kunst der Fuge" zwangsläufig verbundene intensive Befassung mit der Frage, mit welchem Instrument das Spielen älterer Klaviermusik wohl legitim oder gar wünschenswert sei, hat, kurz gesagt, zu folgenden Erkenntnissen geführt:

Die Hammerflügel-Spezialisten ...

beschränken sich fast ausschließlich auf Musik der eigentlichen Hammerflügel-Zeit, also der Vorklassik über die Klassik bis in die Romantik. Je nach Alter des Instruments (bzw. des Vorbilds, nach dem es nachgebaut wurde) ergibt sich für Instrumente von etwa 1770 bis 1790 damit J.C. Bach, C.P.E. Bach, W.F. Bach, Clementi, Haydn, Mozart und früher Beethoven; für Instrumente von 1790 bis etwa 1810 vor allem Beethoven und früher Schubert, für Instrumente danach Schubert, Schumann usw.; in allen Fällen natürlich auch weitere Zeitgenossen, sogenannte "Kleinmeister". Es gibt daher Hunderte einschlägiger CDs, aber nur sehr selten auch Aufnahmen mit Hammerflügeln, die nicht in dieses Schema passen.


Was ist dem entgegenzuhalten?

Es wird zwar immer wieder in Fach-Diskussionen in Frage gestellt, dass der moderne Flügel geeignet sei, etwa J.S. Bach wiederzugeben; trotzdem wird dies häufig praktiziert und, von wenigen Puristen abgesehen, auch allgemein akzeptiert. Auf die Idee, J.S. Bach auf einem (möglichst frühen) Hammerflügel wiederzugeben, kommt aber erstaunlicherweise kaum jemand (auch in der Fachliteratur!). Argumentiert wird oft damit, dass Bach von den ersten Fortepiani von Silbermann nicht sehr angetan war (wenn er auch spätere Modelle durchaus zu schätzen begann). Vergessen wird, dass es auch zu Bachs Zeit viel Kritik am unflexiblen Klang des Cembalos gab und sich viele eine diesbezügliche Verbesserung wünschten (weshalb auch das Clavichord so beliebt und verbreitet war, wenn es auch nicht als Konzertinstrument geeignet war, da es zu leise ist).

Meine Überzeugung ist, dass Bach, hätte er ein ihm geeignet erscheinendes Fortepiano gehabt (es ist inzwischen bewiesen, dass er sogar zwei besaß), es für viele Klavierwerke gegenüber dem Cembalo bevorzugt hätte. Immerhin war er aufgeschlossen genug, etwa für "Lautenwerck" (eine Art überdimensionaler Lauten-Resonanzkörper mit Cembalo-artigem Spielwerk, jedoch Darmsaiten) zwei Originalwerke zu schreiben, obwohl dieses Instrument etliche gravierende Nachteile hatte.

Ganz vergessen wird meist Domenico Scarlatti: Ein Großteil seiner Sonaten ist dem Klavier (nicht dem Cembalo!) auf den Leib geschrieben. Dies ist leicht zu erklären: Scarlatti verbrachte Jahrzehnte in Portugal und vor allem am spanischen Hof, wo er Klavierunterricht gab und viele seiner Sonaten komponierte. Es ist erwiesen, dass es dort mehrere frühe Pianoforti, auch von Cristofori (Tonumfang 49 Tasten, geeignet für etwa 90 Sonaten), insbesondere aber auch von Cristoforis bestem Schüler Ferrini (56 Tasten) gab; auf letzteren konnten etwa 450 der 550 Sonaten gespielt werden.


Lautenwerck

http://www.baroquemusic.org/barluthp.html

Cembalo oder Fortepiano?
Der wichtigste Beitrag zur Lösung dieser alten Streitfrage ist endlich erschienen! Eva Badura-Skoda, "The eighteenth century Fortepiano Grand and its patrons from Scarlatti to Beethoven".

Buch Eva Baduras


AriannaErstdruck

Als Fortepiano-Spieler vertrete ich (natürlich auch an meinem Instrument) seit jeher den Standpunkt, dass nach allgemeiner Meinung für Cembalo geschriebene Musik in vielen Fällen auf dem Fortepiano viel schöner gestaltbar oder sogar für das Fortepiano geschrieben ist.

Oft habe ich das mit Cembalo-Verfechtern diskutiert, aber selten überzeugt, mangels Beweisen für meine eigene subjektive Überzeugung! Jetzt sind die endlich verfügbar!

Kurz gesagt: Anhand einer Fülle von teilweise bisher unbekannten Dokumenten weist die Autorin zwingend nach:

Zwischen ca. 1700 (Cristoforis erster Hammerflügel) bis gegen 1780 waren viele Dutzende Bezeichnungen für Tasteninstrumente mit Saiten in ganz Europa in Gebrauch, aber alle völlig uneinheitlich und meist mehrdeutig, beginnend mit Cristoforis „Cimbalo del piano e forte” (ursprünglich Arpicimbalo del piano e forte: selbst Cristofori war unschlüssig, wie er sein Instrument nennen sollte). All die Bezeichnungen waren mehrdeutig, je nach Örtlichkeit, Land, Sprache, Persönlichkeiten und vielen anderen Einflüssen. „Rechtschreibung“ war auch Glückssache, zum Beispiel Flügel, Fliegl, Flügen, Flüggen, Flich, Flieg, Fliegl, …

Eine kleine Auswahl:
Arpicembalo, Harpsichord, Cembalo, Cembalo con martelli, Clavecin, Clavicymbel, Pianoforte, Fortepiano, Hammerflügel, Flügel, Pantalon, Clavecin à maillets, Clavecin forte piano, Cembalo pianoforte, fortepiano-clavecin, Clavecin d'Amour, Clavicordia, Pantelongs, forte piano petit, Hämmerwerk, Hammer-Pantalon, Cembalo Forte-Piano, Instrumentflügel, Clavecin-Flügel, Cimbalo con uno registro, Kielflügel, ...

Typisches Beispiel: Im Erstdruck von Haydns "Arianna a Naxos" heißt es:  Begleitung Clavicembalo oder Forte-Piano.

Das Werk ist aber wegen sehr vieler Dynamikzeichen nur auf dem Fortepiano wirklich ausführbar.

Dieser Abschnitt ist noch etwas eindrucksvoller auf https://www.instagram.com/walterriemer/ abrufbar.


Die "Kunst der Fuge" war für Walter Riemer ein Auslöser, sich mit dieser Materie auseinanderzusetzen. Er hat inzwischen einige Soloabende auf seinem Hammerflügel gegeben und wird das auch weiterhin ausbauen. Nach der "Kunst der Fuge" sprachen ihn einige Pianistenfreunde darauf an, was denn nun als Nächstes komme, und nannten übereinstimmend die "Goldberg-Variationen". Hier ist die Sachlage allerdings etwas anders als bei der Kunst der Fuge: Während für letztere nicht explizit überliefert ist, für welche Instrumentierung Bach sie geschrieben hat (Walter Riemer ist überzeugt: jedenfalls für ein Tasteninstrument), sind die "Goldberg-Variationen" eindeutig dem zweimanualigen Cembalo gewidmet. Dementsprechend schwer tut man sich, wenn man ein Klavier mit einem Manual vor sich hat, zumindest in etlichen der vielen Variationen.

Die "Kunst der Fuge" galt über Jahrhunderte als auf einem Klavier für eine Person allein unspielbar, die "Goldberg-Variationen" standen zumindest im Ruf, äußerst schwierig zu sein. Inzwischen haben doch etliche Pianisten (etwa Sokolow, Koroliow, Kocsics und zuletzt Hans Petermandl) die "Kunst der Fuge" auf einem (modernen) Klavier eingespielt und können sich im Ruf sonnen, das "Unspielbare" bewältigt zu haben. Ähnlich ist die Situation mit den "Goldberg-Variationen", bei denen man insbesondere an die beiden exemplarischen Aufnahmen von Glenn Gould denken wird (die zwar äußerst präzise, geradezu sensationell, gespielt sind, über die musikalische Interpretation jedoch Analss zu Duskussionen geben.

Wenn diese beiden Werke (aber auch das "Wohltemperierte Klavier", Italienisches Konzert, Chromatische Fantasie und Fuge, Suiten und Partiten) auf dem modernen Klavier akzeptiert werden, müsste man dann nicht erst recht die Interpretation auf einem Pianoforte gutheißen, das sich durch seine größere Nähe zum barocken Klangbild, einen Glockenklang, größte Transparenz, aber insbesondere auch seine dynamischen Möglichkeiten auszeichnet?

Diesem Gedanken zum Durchbruch zu verhelfen, sieht Walter Riemer als Aufgabe an. In diesem Zusammenhang erscheint es noch erwähnenswert, dass sein Instrument nach der von Bradley Lehman wiederentdeckten "Bachstimmung" gestimmt wird.